Bruno-Schulz-Fest Lublin, 7.7. – 10.7.2022

Meine Reise nach Lublin begann früh am Donnerstag in Jena am Westbahnhof. Von dort ging es mit Umstiegen in Erfurt, Berlin und Warschau nach Lublin. Anlass für die lange Reise war das diesjährige Bruno-Schulz-Fest, ein Kultur- und Literaturfestival zu Ehren eines polnisch-jüdischen Autors, zu dem wir gemeinsam mit Studierenden von der Frankfurter Viadrina-Universität fuhren. Dank der Verspätung unseres Zugs von Warschau nach Lublin konnten wir uns noch den Kulturpalast im Zentrum Warschaus anschauen, ein sehr beeindruckendes Gebäude. Abends in Lublin haben wir noch nett in einem Restaurant neben unserem Hotel gegessen, sind durch die Innenstadt spaziert und haben noch eine Kneipe besucht. Dort hatten wir die Gelegenheit uns mit Walentina zu unterhalten, einer Ukrainerin, die Polonistik studiert hat und in Lublin lebt. Wir sprachen über den Krieg und über die Situation geflüchteter Ukrainer*innen in Polen, aber auch über den normalen Alltag.

Winken nach Vilnius

Das Stadtzentrum Lublins war renoviert und schön hergerichtet. Viele Menschen waren unterwegs zwischen den zahllosen Cafés, Kneipen und Restaurants, die unsere Exkursionsgruppe in den nächsten Tagen kennenlernte. Die Stadt wirkte sehr lebendig. Wir hatten viel Zeit, die verwinkelte Innenstadt zu erkunden und das Lubliner Schloss zu besichtigen. Dort besuchte ich während eines freien Nachmittags die Sonderausstellung zum Leben und Werk der Künstlerin Tamara Łempicka, eine der bekanntesten Künstlerinnen des Art Déco. Bei den Wanderungen durch die Innenstadt fanden wir sehr schnell ein großes, rundes, leuchtendes Objekt, wie aus einem Science-Fiction-Film: das Portal von Lublin nach Vilnius. Mit einer dauerhaften Videokonferenz zwischen beiden Städten lässt sich aus Lublin ein direkter Blick auf die Straßen Vilnius werfen. Die Videoschaltung funktioniert in beide Richtungen und wer Glück hat, dem wird aus Litauen zurück gewunken.

Jüdisches Lublin

Die jüdische Geschichte Lublins findet sich auf dem Straßenboden: Neben Stolpersteinen sind in den Boden Markierungen eingelassen, die auf die Grenzen des ehemaligen Ghettos hinweisen. Am Freitag hatten wir eine Stadtführung durch Lublin, die der jüdischen Geschichte der Stadt viel Platz einräumte. Thematisch anschließend besuchten wir am Samstag das Museum des „Teatr NN“ im Brama Grodzka [Grodzka-Tor]. Mit zahllosen Objekten, historischen Fotos und Zeitzeugenberichten vermittelt das Museum eine Idee davon, wie groß und prägend für das Stadtleben die jüdischen Mitbürger*innen waren. Bis zu ihrer nahezu vollständigen Ermordung im Nationalsozialismus bildeten sie ein Drittel der Einwohner*innen. Teatr NN widmet sich seit den 90ern der Erforschung Lublins jüdischer Geschichte, macht sie zugänglich für alle Interessierten und ist prägend für die städtische Gedenklandschaft. Es hat mich sehr beeindruckt, was ein aus lokaler und ziviler Initiative entstandenes Projekt bewirken kann. In unserer Freizeit versuchten eine der Frankfurter Kommilitoninnen und ich die jüdischen Friedhöfe der Stadt zu besuchen. Leider kamen wir nicht hinein, da die Friedhöfe abgeschlossen waren.

Solidarität mit Ukrainer*innen

Wegen dem russischen Angriffskrieg fand das Bruno-Schulz-Fest in Lublin statt. Normalerweise findet dieses Literaturfestival in Drohobycz, der Heimatstadt von Bruno Schulz, in der heutigen Westukraine statt. Zu Schulz Lebzeiten gehörte die Stadt sowohl zu Österreich-Ungarn, als auch zu Polen. Lublin, das circa 260 Kilometer nördlich von Drohobycz liegt, erschien aufgrund der russischen Invasion als ein sicherer Veranstaltungsort. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Angriffskrieg eine wichtige Rolle für das Festival spielte. Am Freitagabend gab es ein bewegendes Musikprogramm, bei dem sowohl Solidarität mit den Opfern des Krieges in der Ukraine, als auch mit den Betroffenen der politischen Repression in Belarus eine wichtige Rolle spielten. Am Samstagabend wurde im Rahmen des Festivals ein ukrainisches Theaterstück aufgeführt. Obwohl ich kein Ukrainisch verstehe, war es eine sehr interessante Vorführung, die unserer Exkursionsgruppe noch viel Diskussionsstoff bot.

Solidarität mit der Ukraine zeigte sich in der ganzen Stadt. An allen offiziellen Gebäuden und aus vielen privaten Fenstern hingen ukrainische Flaggen. In der Innenstadt hingen Poster, die auf Ukrainisch Neuankömmlinge willkommen hießen. Viele Kulturveranstaltungen wurden auf Polnisch und Ukrainisch beworben, hier und da gab es auch rein ukrainische Veranstaltungsbewerbungen. Häufig sah man Autos mit ukrainischen Kennzeichen. T-Shirts und Baseball-Caps mit ukrainischem Bezug oder auch anti-Putin Motiven waren die Mode des Sommers. Ob im Museum, im Kulturzentrum, an der Touristeninfo oder in der Apotheke: Überall gab es auf Ukrainisch Hinweise für Kleider- und Spielzeugsammlungen, Hilfs- und Kulturangebote. Aber auch als Kunden wurden Ukrainer*innen entdeckt, mit Werbung auf Ukrainisch für Internetverträge, Übersetzungsdienstleistungen und Passbildfotografie.

Abreise

Auch während der Zugfahrten begleitete uns der Krieg. Als wir am Samstagvormittag am Bahnhof Lublin auf den Zug nach Warschau warteten, stand auf dem gegenüberliegenden Gleis ein blauer Zug, auf den in Gelb das ukrainische Wappen angebracht war. Es handelte sich um den Schnellzug von Kiew nach Warschau, der nach wie vor fährt. In den Zug von Warschau nach Berlin stiegen in Frankfurt viele ukrainische Geflüchtete ein, mit denen wir ein wenig ins Gespräch kamen. Sie flohen vor den Bomben in Charkiw nach Deutschland. Wir verabschiedeten uns in Berlin. Während ich in meinen geregelten Alltag nach Jena zurückkehrte, ging es für diese Frauen und Kinder in einen völlig unklaren, neuen Lebensabschnitt.

Rebekah Manlove


Die Exkursion wurde gefördert vom DAAD